When Doves Cry, Price, 1984
„Niemand außer mir hat die Eier, diesen Song zu veröffentlichen“, soll Prince in seiner ureigensten Bescheidenheit gesagt haben, als er „When doves cry“ fertig gestellt hatte. Und natürlich hatte der Miniaturrocker aus Minneapolis, dessen Ego umgekehrt proportional ist zu seiner Körpergröße, recht.
Pling-plingpling-pling
Kraftwerk, Die Roboter, 1978
Michael ist schuld. Michael, den alle nur “Maikel” riefen. Wiesoauchimmer. Ich war Erstklässler, er cooler Teenager. Leicht übergewichtig zwar und mit Monsterbrille auf der Nase, aber er besaß die größten Lautsprecherboxen die ich bis dato gesehen hatte. Nur das zählte. Außerdem war er mein Cousin. Schon damals.
In den sieben Jahren meines jungen Lebens hatte mich Musik nicht besonders interessiert. Wieso? Ich verstand sie schlicht und einfach nicht. Entweder waren die Texte in fremden Sprachen, oder ich verstand den Sinn nicht, auch wenn sie auf deutsch gesungen wurden. „Schenk mir eine Nacht“ was bitteschön sollte das bedeuten? Was soll ich mit einer Nacht? Ein Nachmittag wär doch viel besser. Da kann man wenigstens Fussballspielen. Das war alles Erwachsenenkram. Und der war langweilig.
Sei’s drum; wie fast jeden Sonntagmorgen besuchte mein Vater damals seine Schwester. Ich ging mit. Vielleicht konnte ich bei meinem Cousin das ein oder andere Comicheft abstauben. Er hatte alle und wenn er gut gelaunt war, schenkte er mir ab und zu eins. Yps oder Fix und Foxi, war mir egal. Immer noch besser als Petzibär.
Ich betrat also sein Zimmer, er lag auf seinem Bett und aus den riesigen Boxen drangen Klänge, wie ich sie noch nie gehört hatte. Es klang – wie soll ich sagen –kühl, künstlich, rein, richtig. Jedenfalls ganz anders, als das Zeugs, dass ich bis dahin gehört und verachtet hatte. Pling-plingpling-pling. Roboter. Pling-plingpling-pling. Ich schnappte Wortfetzen auf. Roboter, programmiert. Pling-plingpling-pling. Wow. Ich war im wahrsten Sinne elektrisiert. Noch halb in der Tür stehend fragte ich Michael was das denn sei. „Kraftwerk“, antwortete er gähnend und kratzte sich am Hintern. Kraftwerk. Was für ein Name. Sie sangen nicht von Liebe, Küssen oder geschenkten Nächten. Es ging um Technik. Um Maschinen. Das verstand ich. Das drang zu mir durch. Mein Kinderzimmer stand schließlich voll mit Fischertechnik, Playmobil und Lego. Michael überspielte mir das Lied auf eine Kassette und ich konnte es kaum erwarten bis wir wieder daheim war. Ich rannte in mein Kinderzimmer, riß die Kinderkassette (ich glaube, es war „Kimba, der weiße Löwe“) aus meinem Recorder und legte meinen neuen Schatz ein. Ich hörte das Lied einmal, zweimal, hundertmal, bis die Kassette von ständigen Spulen (es war ja nur ein Lied darauf) den Geist aufgab.
Egal, ich hatte vom süssen Nektar gekostet. Ich hatte die goldene Spur entdeckt. Einige Synapsen in meinem Kinderhirn hatten sich auf ewig fest verdrahtet. Reset unmöglich.
Danke, Cousin!
Dös is an Aktschnfuim
Guns ’n‘ Roses, You could be mine, 1991
Sommer 1991. Ich hatte eben meine Ausbildung geschmissen und wartete jetzt darauf, ein Studium zu beginnen. Medieninformatik. Ich hatte zwar nur eine vage Vorstellung, was sich dahinter verbergen sollte, aber es klang nicht schlecht. Jedenfalls war bis dahin noch drei Monate Zeit und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite.
Für die Zeit bis zum Studienbeginn hatte ich mir dann allerdings auf “sanften” Druck meiner Eltern einen Ferienjob besorgt, was zu dieser Zeit recht unkompliziert war. Man rief bei einer der örtlichen Firmen an fragte nach einem Job. Nach kurzem Rascheln in der Leitung nuschelte die Telefondame “Montag morgen, 7.00 Uhr, Neumarkfünfzig die Stunde” in den Hörer und legte auf. Das war’s.
In der Firma wurde jeder Ferienjobber entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt. Ich konnte nichts und landete folgerichtig in der Gießerei. Knopf drücken – Maschine fährt zu – warten – Maschine fährt auf – mit der Zange das frisch gegossene Zahnrad entnehmen und vorsichtig in eine Kiste legen. Überschaubar. Und unsagbar öde. Die gleiche Bewegung 10.000mal am Tag. Die Sonne brannte auf das Wellblechdach der ohnehin schon brüllend heissen, nach Metalldämpfen stinkenden Halle. Nach wenigen Minuten war ich in einer alles umfassenden Müdigkeit gefangen. Meine Augen wurden schwer und gelegentlich nickte ich im Stehen ein, sodass 3,4 Zahnräder klickend zu Boden fielen bevor ich wieder aufschreckte. Die Zeit schien still zu stehen, 50 Zahnräder später waren kaum 10 Minuten vergangen. Ich rechnete mir aus was ich jede Minute, jede Sekunde verdienen würde, nur um nicht schreiend alles hinzuschmeissen.
Um wenigstens ein bisschen Ablenkung zu haben, beobachtete die anderen Arbeiter. Sie fassten die glühend heissen Metallteile mit der bloßen Hand an und brieten sich in der Mittagspause ihr Schnitzel auf den rußgeschwärzten Zink-Öfen. Mir kamen die drei Wochen, die ich hierbleiben sollte wie eine Ewigkeit vor, uns manche von ihnen arbeiteten schon seit Jahrzehnten hier. Realitycheck 1991. Langsam verstand ich, wie gut ich es hatte und wie hart meine Eltern arbeiten mussten, nur damit ich weiter die Schulbank drücken konnte.
Punkt 15:59 stand ich an der Stempeluhr und wartete, dass die blinkende Digitalanzeige auf 16:00 sprang. FEIERABEND. Sofort stempelte ich ab und verließ fluchtartig das Firmengelände. Nur keine Minute zu lang bleiben! Wieder ein Tag geschafft.
Es war ein heißer Sommer und glücklicherweise lag das Freibad nur wenige Minuten von der Firma entfernt, sodass ich mich schon um kurz nach vier in die erfrischenden Fluten stürzen konnte. Nach und nach trafen meine Kumpels ein, die ebenfalls um 16:00 Uhr Feierabend hatten; Martin, Hirsch, Kalle und all die anderen Vögel. Irgendeiner hatte eigentlich immer einen Kassettenrekorder dabei und so lagen wir rauchend da, und quatschten dummes Zeugs. Aber sobald das Lied dieses Sommers lief, nickten alle still mit dem Kopf vor sich hin. Obwohl es wahrlich keine Ballade war die da aus den Boxen schepperte.
Natürlich kannte ich Guns’n’Roses schon seit Jahren. Natürlich hatte ich ‘Appetite for Destruction’ zu Hause im Regal stehen. ‘Welcome to the Jungle’ und ‘Sweet child o’mine’ waren ganz nett, aber mehr auch nicht. Die Jungs waren eben nur ein Haufen schlecht gekleideter langhaariger Rotzlöffel, die sich redlich bemühten, sich möglichst schlecht zu benehmen.
Dann kam ‘You could be mine’. Und alles war anders. Dieses Lied war nicht nur Krach, sondern Krach mit einer geilen Melodie. Ein Lied mit einer unbändigen Energie. Ein Lied, dass den Weg in die Zukunft wies. Ein Lied das allen gefiel. Den Jungs wegen der Musik und den Mädels weil die Typen (auf einmal) supersüß-böse waren.
Und natürlich war da das Video. Es war die große Zeit vom MTV. Niemand der damals nicht dabei war, wird je verstehen was MTV für uns bedeutete. Zusammen mit den bis dahin ungeahnten Special Effects aus “Terminator 2″ ergab das etwas wirklich Neues, etwas Brilliantes. X-mal lief das Video jeden Tag und ich konnte mich gar nicht sattsehen. Coole Musik, Arnies augenzwinkernde Ironie und revolutionäre Computertechnik, dass passte einfach. Ich war begeistert vom “Gesamtpaket”, wie man heute sagen würde. Erst recht als ich las, dass Computergrafik auf dem Stundenplan meines ersten Semesters stehen würde.
So verging der Sommer langsam und gleichförmig. Tagsüber malochen, nachmittags und abends im Freibad oder im Stadtpark die lauen Abende geniessen. Und über allem schwebte Axls Gekreische. Es waren wohl die letzten Tage einer “alten” Zeit. Einer Zeit mit Wählscheibentelefonen, Walkmen und Autos ohne Katalysatoren oder Kopfstützen. Die Wiedervereinigung war zwar schon da, aber ihre Schockwellen noch nicht vollständig bis zu dieser kleinen Stadt im Schwarzwald durchgedrungen – doch wir spüren, dass die Zeiten sich änderten. Jetzt, zwanzig Jahre später, fühlt sich diese Zwischenzeit so weit entfernt an wie die Dinosaurier. Nur “You could be mine” ist auch 2013 Teil einer jeden Playlist von mir.
This Corrosion, The Sisters of Mercy, 1987
Samstagnachmittag. Novembergrau. Formel Eins. Steffi Tücking moderiert sich mehr oder weniger gelangweilt durch all die fönfrisierten Rickastleys und Sabrinas, ich liege auf dem Bett und grüble, wieso Manuela nicht mit mir gehen will, während ich durch das flimmrige Gefasel hindurchsehe.
Dann plötzlich Choräle, schwarze Klamotten, dunkle Sonnenbrillen und eine Stimme die mich aus allem Selbstmitleid riss. Wasistdas-wieheisstdas-wersingtdas? schießt es duch meinen Teenagerschädel. Hey now, hey now now, sing this corrosion to me. Endlosschleife. Die Worte verfolgten mich die ganze Nacht. Weder Titel noch Interpret konnte ich mir merken. Nur diese Worte. Zum Verrücktwerden.
Endlich Sonntag, 18.00 Uhr. SWF3 Hitline. Vielleicht spielen sie’s ja. Warten. Mit dem Finger auf der Record-Taste. Tatsächlich. Neueinstieg auf Platz wasweissich. The Sisters of Mercy also. Hastig Aufnahme drücken. Danach den ganzen Abend das selbe Lied. I bled all I can, I won’t bleed no more. Jede Zeile im Langzeitgedächnis eingebrannt. You kissed and tolled. Das war nicht Klickibuntistockaitkenwaterman. Das war nicht Sonnenstudiodieter im pastellfarbenen Jogginganzug. Das war dunkel, böse und mächtig. In den Winkeln meiner Seele rumorte es. Und es hörte nie wieder auf.
Schwarze Klamotten. Spitze Schuhe. Lange Mäntel. Das alles kam und ging. Aber Andrew Eldrich wird immer da sein. YOU gave me the ring.