Dös is an Aktschnfuim

Guns ’n‘ Roses, You could be mine, 1991

Sommer 1991. Ich hatte eben meine Ausbildung geschmissen und wartete jetzt darauf, ein Studium zu beginnen. Medieninformatik. Ich hatte zwar nur eine vage Vorstellung, was sich dahinter verbergen sollte, aber es klang nicht schlecht. Jedenfalls war bis dahin noch drei Monate Zeit und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite.

Für die Zeit bis zum Studienbeginn hatte ich mir dann allerdings auf “sanften” Druck meiner Eltern einen Ferienjob besorgt, was zu dieser Zeit recht unkompliziert war. Man rief bei einer der örtlichen Firmen an fragte nach einem Job. Nach kurzem Rascheln in der Leitung nuschelte die Telefondame “Montag morgen, 7.00 Uhr, Neumarkfünfzig die Stunde” in den Hörer und legte auf. Das war’s.

In der Firma wurde jeder Ferienjobber entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt. Ich konnte nichts und landete folgerichtig in der Gießerei. Knopf drücken – Maschine fährt zu – warten – Maschine fährt auf – mit der Zange das frisch gegossene Zahnrad entnehmen und vorsichtig in eine Kiste legen. Überschaubar. Und unsagbar öde. Die gleiche Bewegung 10.000mal am Tag. Die Sonne brannte auf das Wellblechdach der ohnehin schon brüllend heissen, nach Metalldämpfen stinkenden Halle. Nach wenigen Minuten war ich in einer alles umfassenden Müdigkeit gefangen. Meine Augen wurden schwer und gelegentlich nickte ich im Stehen ein, sodass 3,4 Zahnräder klickend zu Boden fielen bevor ich wieder aufschreckte. Die Zeit schien still zu stehen, 50 Zahnräder später waren kaum 10 Minuten vergangen. Ich rechnete mir aus was ich jede Minute, jede Sekunde verdienen würde, nur um nicht schreiend alles hinzuschmeissen.

Um wenigstens ein bisschen Ablenkung zu haben, beobachtete die anderen Arbeiter. Sie fassten die glühend heissen Metallteile mit der bloßen Hand an und brieten sich in der Mittagspause ihr Schnitzel auf den rußgeschwärzten Zink-Öfen. Mir kamen die drei Wochen, die ich hierbleiben sollte wie eine Ewigkeit vor, uns manche von ihnen arbeiteten schon seit Jahrzehnten hier. Realitycheck 1991. Langsam verstand ich, wie gut ich es hatte und wie hart meine Eltern arbeiten mussten, nur damit ich weiter die Schulbank drücken konnte.

Punkt 15:59 stand ich an der Stempeluhr und wartete, dass die blinkende Digitalanzeige auf 16:00 sprang. FEIERABEND. Sofort stempelte ich ab und verließ fluchtartig das Firmengelände. Nur keine Minute zu lang bleiben! Wieder ein Tag geschafft.

Es war ein heißer Sommer und glücklicherweise lag das Freibad nur wenige Minuten von der Firma entfernt, sodass ich mich schon um kurz nach vier in die erfrischenden Fluten stürzen konnte.  Nach und nach trafen meine Kumpels ein, die ebenfalls um 16:00 Uhr Feierabend hatten; Martin, Hirsch, Kalle und all die anderen Vögel. Irgendeiner hatte eigentlich immer einen Kassettenrekorder dabei und so lagen wir rauchend da, und quatschten dummes Zeugs. Aber sobald das Lied dieses Sommers lief,  nickten alle still mit dem Kopf vor sich hin. Obwohl es wahrlich keine Ballade war die da aus den Boxen schepperte.

Natürlich kannte ich Guns’n’Roses schon seit Jahren. Natürlich hatte ich  ‘Appetite for Destruction’ zu Hause im Regal stehen. ‘Welcome to the Jungle’ und ‘Sweet child o’mine’ waren ganz nett, aber mehr auch nicht. Die Jungs waren eben nur ein Haufen schlecht gekleideter langhaariger Rotzlöffel, die sich redlich bemühten, sich möglichst schlecht zu benehmen.

Dann kam ‘You could be mine’. Und alles war anders. Dieses Lied war nicht nur Krach, sondern Krach mit einer geilen Melodie. Ein Lied mit einer unbändigen Energie. Ein Lied, dass den Weg in die Zukunft wies. Ein Lied das allen gefiel. Den Jungs wegen der Musik und den Mädels weil die Typen (auf einmal) supersüß-böse waren.

Und natürlich war da das Video. Es war die große Zeit vom MTV. Niemand der damals nicht dabei war, wird je verstehen was MTV für uns bedeutete. Zusammen mit den bis dahin ungeahnten Special Effects aus “Terminator 2″ ergab das etwas wirklich Neues, etwas Brilliantes. X-mal lief das Video jeden Tag und ich konnte mich gar nicht sattsehen. Coole Musik, Arnies augenzwinkernde Ironie und revolutionäre Computertechnik, dass passte einfach. Ich war begeistert vom “Gesamtpaket”, wie man heute sagen würde. Erst recht als ich las, dass Computergrafik auf dem Stundenplan meines ersten Semesters stehen würde.

So verging der Sommer langsam und gleichförmig. Tagsüber malochen, nachmittags und abends im Freibad oder im Stadtpark die lauen Abende geniessen. Und über allem schwebte Axls Gekreische. Es waren wohl die letzten Tage einer “alten” Zeit. Einer Zeit mit Wählscheibentelefonen, Walkmen und Autos ohne Katalysatoren oder Kopfstützen. Die Wiedervereinigung war zwar schon da, aber ihre Schockwellen noch nicht vollständig bis zu dieser kleinen Stadt im Schwarzwald durchgedrungen –  doch wir spüren, dass die Zeiten sich änderten. Jetzt, zwanzig Jahre später, fühlt sich diese Zwischenzeit so weit entfernt an wie die Dinosaurier. Nur “You could be mine” ist auch 2013 Teil einer jeden Playlist von mir.

Viertelfazit

Es scheint, als wäre ein bisschen der Alltag eingekehrt. Ein wenig Normalität nach den Festtagen von Köln, Wolfsburg, Berlin und Augsburg. Vier Niederlagen aus den letzten fünf Spielen, Platz 12, nur einen Punkt entfernt von der roten Laterne. Zeit also, die Euphorie im Keller zu verstauen und gegen die vielbenutzte Kiste „Meckern und Motzen“ auszutauschen? Mitnichten.
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