Fashion Cyborgs

Neulich im Bad. Ich sitz in der Wanne und seif mir genüsslich die Wampe ein, da fällt mein Blick auf das „Instyle“-Magazin meiner Frau, das da unter zig Kosmetikutensilien -über deren Verwendungszweck ich nur mutmaßen kann- auf der Ablage liegt.

Dieses Magazin, dies sei gesagt für alle Nerds und Jungesellen, ist eine Art inoffizielles Zentralorgan der weiblichen Bekleidungsindustrie. Das beinahe Quellekatalogdicke Printprodukt kommt tatsächlich mit noch weniger Text als die Bild-Zeitung aus, verbreitet dafür seitenlang die angesagtesten Outfits für die moderne Frau von heute. Ja ne is klar. Ist ja ok. Wen’s interessiert.

Was mir aber die Badeschaum-benebelten Pupillen überquellen ließ, war nicht der „redaktionelle Teil“. Der ist harmlos, belanglos, eine Art Einkaufszettel für H&M halt.

Dafür haben es die Anzeigen in sich. Die Werbung. Die Reklame. Gefühlte 98% des Machwerks sind gefüllt mit ganzseitigen Anzeigen der Branchen-Platzhirsche. Gukki, Bradda, Pruno Panani.
Die dort angepriesenen textilen Devotionalien werden meist präsentiert von fremdartigen, fuchterregenden Wesen, die nur sehr entfernt mit dem verwandt sind, was füher einmal als „Fotomodell“ bezeichnet wurde.

Was ich dort sehe läßt mir das Badewasser sauer werden. Katzenaugen, Atomdekoltee und eine Haut, gegen die jeder Babypopo wie eine zerklüftete Gebrigslandschaft aussieht. Photoshop-Zombies. Fashion Cyborgs. Die Terminatrix wirkte dagegen wie ein Mädel von Lande.

Kein Wunder also, das viele Frauen Komplexe haben und sich zu dick fühlen. Beim Vergleich mit diesen digitalen Wiedergängern kann man nur abstinken.

Mal ehrlich. Ganz unter uns: Es gibt doch wirklich genug hüsche Frauen. Wieso muss jede Fotografie bis zum kompletten Identitätsverlust retouchiert werden?

Ja ihr seid gemeint, ihr allwissenden, supercoolen Agenten, Fotografen, Modelagenturen, Zeitschriften. Ihr Latte-Macchiato-schlürfenden Blutsauger, ihr wollt uns erzählen, was „schön“ ist? Das ich nicht lache!

Ihr seid immer auf der Suche nach DEM einmaligen Gesicht – und wenn ihr es dann gefunden habt, verwandelt ihr es ratz-fatz in ein digitales Einheitsgesicht. Alle makellos, alle austauschbar. Prima. Gut gemacht. Und mein Badewasser ist mittlerweile auch kalt.

Wer wissen will, wovon ich rede, dem sei die Website Photoshopdisasters wärmstens ans Herz gelegt. Viel Spass damit!

 

Übertriebene Härte – reloaded

Übertriebene Härte. Der ein oder andere mag sich erinnern. Das waren die mit der Sicht. Der äußerst subjektiven Sicht. Der Dinge. Übertriebene Härte. Gibts ja eigentlich nicht mehr. Aus. Schluss. Vorbei. Die Messe ist gelesen, der Käs gegessen. Klappe zu, Affe tot. Warum fragt ihr? Kein Zeit, kein Zeit. Nein, stop, aus halt. mäßige Ausrede. Äußerst mäßig. Aber es gibt natürlich Gründe, wieso diese Kolumne nicht mehr ist. Oder höchstens noch sporadisch.
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Up and away

Das Schauspiel beginnt pünktlich um 17.36 Uhr.
Bis dahin war alles glatt gelaufen. Mehr oder weniger. Die Bahn hatte sich entschlossen, ausgerechnet heute ihr Schienennetz zu modernisieren. Deshalb fährt die S9 erst ab Ostkreuz. Wenn man’s weiss kein Problem. Wir wussten es nicht.
Also auf zum Ostkreuz. Dort jede Menge Gestalten in seltsamen Gewändern. Hertha BSC hat wohl verloren. Das macht die Stimmung nicht besser. Auf dem Bahnsteig herrscht nervöses Hufe-Scharren. Bierflaschen gehen zu Bruch. Touristen mit containerartigen Koffern zwischen gröhlenden Fussballfans. An den rostigen Eisenträgern lehnen 14jährige Nachwuchsgangster. Sie tragen weiße Jogginganzüge mit hellblauen Streifen. Mein Schlafanzug anno ’78 sah ähnlich aus. Wie habe ich ihn gehasst! Endlich die Bahn. Leider wollen alle anderen auch mitfahren. Tatjana ergattert einen Sitzplatz und lässt sich erschöpft auf die fleckige Bank fallen. Neben ihr sitzt ein VoKuHiLa (Vorne-Kurz-Hinten-Lang-Frisur, Anm. des Autors) in Cowboystiefeln. Er starrt konzentiert in ihren Ausschnitt. Bestimmt denkt er nachher an sie, in seinem Zimmer, oben bei Mutti. Ich stehe an der Tür, eine Hand in der Halteschlaufe. Der Zug fährt rumpelnd an, die Menge schwankt. Mein Koffer macht sich selbständig und rollt durch den Gang. Ich hinterher. Du machst dir keine Freunde, wenn dein amoklaufender Zwanzig-Kilo-Hartschalen-Koffer zig Schienbeine poliert.
Hinter Baumschulenweg wird es dann leerer. Und deutlich ruhiger. Fast nur noch Reisende mit Ziel Schönefeld.

Wir sitzen an Gate 22. Rundherum heimatliche Klänge. Eine schwäbische Oase im märkischen Sand. Auch ohne einen Blick auf den Flatscreen über dem Schalter ist klar, dass dies der Flug nach Stuttgart sein muss. Boarding ist für 17.45 Uhr angesetzt. Ein Ehepaar Ende 50 sitzt uns gegenüber. Beide gekleidet in Goretex-Jacken und beigefarbenen Hosen mit unzähligen Taschen. Dazu feste Treckingstiefel. Sie isst eine Banane während er die mitgebrachte ADAC-Strassenkarte studiert. Neben ihr steht ein Rucksack, aus dem eine 1,5 Liter Flasche Apfelschorle von Aldi-Süd ragt. Sie hält den Träger des Rücksacks fest umklammert. Am Rucksack baumelt ein pizzateller-grosser Adressanhänger. Eugen und Gerlinde Pfefferle aus Albstadt-Tailfingen. Falls wir in den Weiten der kasachischen Steppe notlanden müssen – die beiden sind vorbereitet.

17.36 Uhr. Es geht los. Ich lehne mich zurück und geniesse. Mit geübtem Griff zieht Eugen zwei Flugticket aus seinem Brustbeutel und schreitet mit konzentriertem Blick Richtung Abflugschalter und stellt sich dort an. Erster! Ein triumphierenes Lächeln umspielt seine Lippen. Es ist kein Gate-Agent zu sehen. Keine freundliche Mitarbeiterin von der Fluggesellschaft verkündet „Meine Damen und Herren, unsere Flug 4U 2005 ist nun zum Einsteigen bereit“. Keine Durchsage. Die Anzeigetrafel verkündet das Boarding stur für 17.45 Uhr.

17.37 Uhr. Eine plötzliche Unruhe erfasst die wartende Menge. Rucksäcke werden gepackt, Jacken rasch übergeworfen. Mütter rufen ungeduldig nach Ihren Kindern. „Sara-Sophiiie! Lukas-Leoooon! Kommet schnell, m’r flieget hoim!“.
Innerhalb von zwei Minuten hat sich eine 30 Meter lange Schlage gebildet. Wieder wird gedrängelt und geschubst.
Dann passiert nichts mehr. Nur einige Wenige sind auf ihren Plätzen geblieben und betrachten stirnrunzelnd die Szenerie.

17.53 Uhr. Leises Getuschel in der Schlage. „Jetzt könnt’s aber mal losgehen“. Tatjana sitzt neben mir und blättert zum hundertsten Mal durch ihre „Glamour“. Die 30 stylishsten Outfits für ihr Spa-Weekend. Alles klar. Ich kann Konrad Duden förmlich sehen, wie er in seinem Grab rotiert.

Dann geschieht es. Der Flatscreen geht aus. Es erscheint ein Windows-Bildschirmschoner. Eugen starrt fassungslos auf das bunte Logo. Das Gemurmel im Hintergrund schwillt zum Orkan. Alle reden gleichzeitig und gestikulieren wild durcheinander.
Tatjana blickt von ihrer Zeitschrift auf. „Was’n los?“. Ich zucke nur kurz mit den Schultern. Meine Augen bleiben an der Warteschlange haften. Eugen dreht sich um blickt sich hilfesuchend nach Gerlinde um, kann sie aber nicht entdecken. Er wirkt verwirrt. Da taucht plötzlich ein Flughafenmitarbeiter in orangefarbener Uniform auf. Alle Blicke wenden sich ihm erwartungsvoll zu. Atemlose Stille. Er öffnet den Restmüllbehälter einige Meter neben mir, nimmt den schwarzen Müllsack heraus und geht weiter. Ein Raunen geht durch die Menge. Ich beobachte Eugen. Er wirkt wie ein Dreijähriger, der seine Mutter sucht. Sein Blick ist fahrig, er nestelt nervös an seinem Brustbeutel. Dann endlich. Die Tür der Damentoilette öffnet sich und Gerlinde kommt heraus. Sie trocknet sich die Hände an ihrem mitgebrachten Taschentuch ab. Sie hebt ihre Hand und zeigt nach vorn. Eugen dreht sich um. Der Flatscreen flackert, am Gate stehen zwei Frauen in Germanwings-Uniform. Die Menge scharrt mit den Hufen. Es geht los.

Zeitsprung. Wir sitzen im Flugzeug. Völlig überraschend durften alle Wartenden mitfliegen. Auch die, die nicht gedrängelt haben. Jeder hat einen Sitzplatz bekommen. Wir heben pünktlich auf die Minute ab. Hinter uns sitzen Eugen und Gerlinde und packen Ihre Butterbrote aus. Tatjana ist happy. Sie hat ein „Woman“-Magazin ergattert. 20 Must-have Teile für It-Girls. Ich schaue in ihren Ausschnitt. Nur Fliegen ist schöner.

Frühlingstraum

Ich träumte einst von einem Garten
Einem Garten, übersät mit Blumen, strahlend schön wie eine Frühlingswiese im Mai
Und die Tage zogen vorbei, wie die goldene Sonne über mir
Und nirgends war Schmerz oder Angst

Doch als ich erwachte, waren da keine Blumen
Und der Wind blies mir ins Gesicht, kalt und feindselig
Ich fühlte mich elend und unendlich einsam
Alles was ich sah, waren Blumen, gemalt auf blankem Beton

Ich versuchte an einem Wintertag aufzuwachen
Doch schloss ich meine Augen wieder
Die traumhaften Blumen waren verschwunden
All die Mühe war vergeblich

Jetzt lachen sie alle
Lachen, über den weltfremden Träumer
Der Blumen im Winter sah

Als ich das erste Mal in deine Augen sah
Träumte ich von Liebe, Hingabe und Vetrauen
Damals, als wir schweigend nebeneinander saßen
Und du gelächelt hast

Doch als ich erwachte…

Jetzt kann ich mich nur fragen
Kann es einen Weg zurück geben
Zurück in diesen Garten
Kann es es einen Weg geben
Deine Hand zu halten

Bäumchen wechsel dich

Ehrlich. Ich komm nicht mehr mit. Hab wohl den Anschluß verpasst. Der Zug ist abgefahren. Geht es nur mir so oder hat sonst noch jemand das Gefühl, die Welt dreht sich immer schneller? Liegt wohl am Alter. Da ist man grade mal einen Tag offline und was ist: ich blick nicht mehr durch. Wo ist Felix Magath denn nu Trainer? Wer ist Kevin LaVallee und für welches Team spielt er? Wie heißt eigentlich der Ersatztorhüter der Wild Wings? Und: Ist die DEL-Saison schon zu Ende?
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Tristesse

„Wow, wer hätte das gedacht: Das Spitzenspiel des 22. Spieltags lautet Schwenningen – Weisswasser.“ Hä? Pardon – wie bitte? Kann es sein, dass der Autor dieser Zeilen nicht ganz auf der Höhe des Zeitgeschehens weilt? Alles halb so schlimm. Mit diesem Satz begann vor etwa einem Jahr die erste Kolumne dieser Rubrik.
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Vom Eise befreit

Prolog
Blass schimmert die Eisfläche in der morgentlichen Sonne. Zertretene Plastikbecher und schmutzige Papierschnipsel zeugen von dem, was war. In der Luft hängt der Geruch von kaltem Rauch. Die geifernden, parolen-gröhlenden Becherwerfer sind zu ihren Familien zurückgekehrt und sitzen wieder friedlich in ihren Büros und Werkshallen. Oder schlafen sich aus, in ihren Zimmern, oben bei Mutti.
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